Herzgeschichten – wenn der Verstand geht und die Gefühle bleiben
Wenn Oma – nennen wir sie hier einfach Rosa – erkrankt, existiert das logische Denkvermögen nicht mehr. Doch was heißt das?
Das heißt z.B.: das Oma Rosa zwar die Blumen spritzt, aber mit viel zu viel Wasser. Rosa hängt zwar die Wäsche an die Leine, leider ist diese jedoch noch schmutzig. Wenn Oma zusammenräumt landen oftmals die Zähne im Kühlschrank, das Brot im Geschirrspüler oder die Butter verschwindet mit der Marmelade in einer Handtasche bzw. dort, wo sie kein Mensch vermutet.
Um das Durcheinander im Kopf zu entwirren braucht Oma Rosa jetzt unser Verständnis als Angehörige – und unsere Hilfe. Ohne Medikamente!
Validation – was ist das?
Der Alltag mit unserer Oma kehrte schnell wieder ein. Wir sind mit immer neuen Situationen konfrontiert, wir tun uns schwer, ihre Gründe zu verstehen.
Wir würden viel besser verstehen, wenn wir wissen, was um Oma Rosa geschieht. Die Erklärung lautet im Fachbegriff Validation. Validation muss nicht erlernt werden. Wir tragen sie alle in uns, haben sie jedoch verdrängt, oder vielmehr verdrängen müssen.
Schauen wir in unsere eigene Kindheit zurück, oder erinnern wir uns, was Oma Rosa immer über ihre Kindheit erzählt hat. Ihr wurden wie später auch uns immer gesagt: „Lerne mehr, arbeite mehr, du musst zu den Besten gehören!“ Der Druck wurde zur Gewohnheit, zur Lebensphilosophie, zum Grundgedanken.
Nicht nur im Altenheim kann man oft gut beobachten, dass unsere lieben Alten am späten Nachmittag oft unruhig werden, sie wollen nach Hause, zu den Tieren, zu den Kindern. Wir könnten auch sagen, sie wollen zu ihren Routinen. Sie haben ja nie „abschalten“ gelernt.
Im Kopf haben sie zwar nun vergessen, dass diese Zeit nicht mehr existiert. Aber tief im Herzen sind diese Vorgänge, Geschichten oder Gewohnheiten gespeichert.
Diese Menschen bewegen sich in „ihrer“ wahren Vergangenheit. Dort heißt es: Die Sonne geht unter, die Arbeit ist für heute erledigt, wir gehen nach Hause, zu den Kindern. So wurde es über Jahrzehnte gehandhabt. Und dort, in ihrer Vergangenheit können wir sie abholen.
Die Menschen wurden wie Oma Rosa nach deren Leistung beurteilt, ein Leben lang. „Was sagt der Vater, was denkt der Nachbar…, wir müssen unser Tagewerk vollenden…“
Blenden wir uns zurück in die Gegenwart und zu Oma Rosa. Aus Unwissenheit und Mitleid handeln wir ihr gegenüber genau genommen nicht richtig und vertrösten und verstören sie vielmehr, bis sie dann gar nicht mehr mit uns spricht, weil sie sich nicht verstanden fühlt.
Diese Menschen brauchen kein Mitleid, keine Ratgeber und keine Psychologen. Vielmehr brauchen sie unser Verständnis und die richtigen Handlungen.
Denn der Erkrankte kennt nun keine Hemmungen und Normen mehr. Wenn Oma oftmals grundlos „sauer“ wird und uns beschimpft, dann nimmt sich eigentlich ihr Kopf eine Auszeit, ihre Gefühle haben endlich freien Lauf.
Jetzt sollten wir wissen und „entschuldigend“ berücksichtigen, dass das was in Omas gespeichert, niemals verloren geht!
Leider weißt uns niemand darauf hin, so sind wir wütend auf Oma Rosa und können diese Situation einfach nicht verstehen.
Wenn der Verstand geht, aber die Gefühle bleiben
Kehren wir einmal vor unserer eigenen Tür als gesunde und agile Menschen. Wenn wir gefragt werden, ob wir uns an den 8. August letzten Jahres erinnern können, werden wir vermutlich nicht wissen, was damals war – wenn nicht gerade jemand besonderer Geburtstag hatte oder etwas Außerordentliches passiert ist. Wenn wir aber gefragt werden, was das Schönste im letzten Jahr war, wird uns die Antwort leichtfallen. Denn diese Ereignisse sind wie gesagt im Herz gespeichert.
Weshalb wir uns merken, um zu verstehen: Bei einem Alzheimer – Erkrankten wie Oma Rosa geht der Verstand, doch die Gefühle bleiben. Und schon erscheinen unverständliche Handlungen in einem neuen Licht und womöglich sogar positiv. Weil sie aus Omas Herzen kommen.
Schreibe einen Kommentar